Bäckerei Gruyters

Mission Gedeckter Frühstückstisch

„Love is in the air“ trällert mir mit geschäftiger Fröhlichkeit entgegen, als ich die Backstube der Bäckerei Gruyters am Nauenweg betrete. Angesichts der Uhrzeit – es ist zwei Uhr morgens – und nur drei Stunden Schlaf fühle ich mich zwar eher nach „Sweet Dreams“ von den Eurythmics, aber John Paul Youngs Schlager von 1978 macht schon irgendwie Sinn. „Backen ist Liebe“ heißt nicht umsonst der Werbeslogan eines Lebensmittelherstellers, der prägnant zusammenfasst, was uns mit kräftigem Brot und knusprigen Brötchen verbindet. Wer diesen Beruf erfolgreich ausüben will, der muss neben handwerklichem Geschick eine gehörige Portion Liebe, Leidenschaft und Opferbereitschaft mitbringen.

Jonathan Gruyters kümmert sich an diesem Tag unter anderem um die Konditorei. Beim Anblick der zuckrigen Berliner kann er sich selbst das Lächeln nicht verkneifen.

„Ich gehe abends um 19 Uhr schlafen, nachdem ich meine Tochter ins Bett gebracht habe“, erklärt Jonathan Gruyters, Neffe des Geschäftsführers und seit 2018 im Betrieb – die mittlerweile sechste Gruyters-Generation. Hätte ich das nur auch so gehandhabt, denke ich mir. Von Müdigkeit ist bei ihm und seinen fünf Mitstreitern an diesem Freitagmorgen dann auch nichts zu spüren: Und wenn doch, vertreibt den letzten Rest eine Tasse Kaffee aus der großen Kanne, die für alle bereitsteht. Auch ich genehmige mir einen kräftigen Schluck, bevor ich für einige Stunden in eine mir fremde Welt aus Mehl und Teig abtauche. Wer weiß, was mir bevorsteht? Vielleicht entpuppe ich mich als neuer Stern am Bäckerhimmel? Vielleicht beschließe ich, den Stift zur Seite legen, um mich künftig ganz auf samtige Sauerteige und kräftige Roggenbrote zu konzentrieren? Zuerst einmal stelle ich jedoch fest, dass Backen erst in zweiter Instanz Liebe ist, vor allem aber echte, harte Arbeit.

Johannes Gruyters sorgt für die richtige Rezeptur.

Bei Gruyters übernimmt jeder im Team eine ihm täglich zugewiesene Aufgabe. Nur das Anrühren der Teige ist in dem Traditionsbetrieb Chefsache, die sich Johannes Gruyters und sein Neffe Jonathan teilen. Heute ist es Johannes Gruyters, der die benötigten Zutaten nacheinander in die drei großen Rührkessel gibt. Je nach Rezeptur kommen vorbereitete Vorteige sowie Salz, Hefe, Wasser, Mehl, Mandeln, Rosinen oder Körner hinein – entweder aus Vorratsbehältern oder aus dem Leitungssystem, das der Bäckermeister mit geübten Handgriffen bedient. Nicht nur diese Apparatur mit ihren Schläuchen und Hebeln, sondern auch das eifrige Hin und Her sowie die Geräuschkulisse erinnern mich ein wenig an den Filmklassiker „Das Boot“. So wie Kapitän Henrich Lehmann-Willenbrock den Tiefenmesser nie aus dem Auge lässt, so geht es Gruyters mit seinen Rezepten: Schließlich wird das Angebot regelmäßig durch neue Produkte erweitert oder saisonal ergänzt. Derzeit freuen sich die Gruyters-Kunden etwa über den Rheinischen Landjungen, der seinen aromatischen Geschmack der Zugabe von Ackerbohnenschrot, Flohsamenschalen, Kürbiskernen und gestifteten Möhren verdankt.

Der nächste in der backenden Verwertungskette ist Uwe, seit 31 Jahren im Betrieb, ein alter Hase, der hochkonzentriert und schnell, aber mit großer innerer Ruhe seine Arbeit verrichtet: Hat er wirklich nur zwei Arme? Mit schlafwandlerischer Sicherheit wiegt er von dem riesigen Teigberg, den sein Chef ihm bereitlegt, passende Mengen ab und rollt dann immer zwei Teigballen beidhändig in Form. Mir wird schon vom Zuschauen schwindlig. Meine große Chance kommt, als ich ihm zuarbeiten darf. Doch mein Kampf mit dem klebrigen Teig und der Waage entpuppt sich weniger als verheißungsvoller Start in eine neue Karriere, denn als Remake von Goethes „Zauberlehrling“. Mein gut gemeinter, aber letztlich hoffnungsloser Versuch wird von Gruyters bereits nach kurzer Zeit mit einem mitleidigen Lächeln unterbunden: „Unsere Kunden wollen ja rechtzeitig ihr Brot haben.“ Uwe lässt sich aber auch durch meine unfreiwillige Sabotage nicht aus der Ruhe bringen: „Das ist Übungssache“, muntert er mich auf. „Am Anfang ist das nicht so einfach.“ Ich schlucke die Schmach hinunter und wende ich mich einem anderen Bereich zu. So leicht gebe ich mich nicht geschlagen!

Ich lasse mir vom Chef die Feinheiten der Bäckerwaage erklären, bevor ich selbst zupacken darf.

In einem Nebenraum kümmern sich heute Heidi und Jonathan um Süßgebäck und Konditorei. Während Heidi Apfel-, Kirsch- und Aprikosengitter sowie Käsekuchen für den Kaffeetisch der Kunden vorbereitet, zuckert Jonathan, der viele der Gruyters’schen Brotrezepturen entwickelt, die fertigen Mürbeteighäschen. Dieser Aufgabe bin sogar ich gewachsen und Jonathan nutzt die gewonnene Zeit, um für den nächsten Arbeitsschritt aufräumen. Die Abläufe in der Backstube sind perfekt organisiert. Und das muss auch so sein, denn der Zeitplan ist extrem straff. Wenn sich ein Zeitfenster öffnet, wird dies sofort dafür genutzt, Tische und Werkzeuge abzuwischen oder Krümel vom Boden zu fegen. Dann geht es auch schon weiter.

Roman lässt am Ofen nichts anbrennen.

An den Öfen steht Roman, so etwas wie der Spaßvogel des Teams. Mit seinem kurzgeschorenen Iro schiebt er die mit Backformen beladenen Rollregale in die Öfen, programmiert die Backzeiten und schaut nach, ob die Brotlaibe inzwischen fertig sind. Dann nimmt er sie mit dem Brotschieber gekonnt heraus und platziert sie erneut in den Wagen zur Abholung durch die Fahrer. Trotz dieser schweißtreibenden Kraftarbeit hat er immer wieder Zeit für einen kleinen Scherz. „Sind das Amerikaner?“, will ich von ihm beim Blick in den Ofen wissen. „Ja, die sehen aus wie Biden“, antwortet er.

Im Morgengrauen werden kräftige Brote und knusprige Brötchen nach ganz Krefeld ausgeliefert.

Gegen vier Uhr wird es dann voll: Die Fahrer holen die Ware – insgesamt sind es an diesem Tag rund 9.000 Brötchen und 600 Brote – ab, um sie zu den acht Gruyters-Filialen zu bringen. Kurz kommt etwas Hektik auf: Gegenüber der Liste wird ein Brot vermisst. Doch Johannes Gruyters lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, denn er weiß ganz genau, was er und sein Team heute produziert haben. Und tatsächlich: Das verlorene Brot taucht wieder auf. Einmal durchatmen, dann geht es auch schon weiter, denn bis Feierabend ist noch einiges zu tun. Schließlich soll auch an diesem Freitag kein Kunde auf sein Lieblingsbrot verzichten müssen. Ich hingegen verabschiede mich. Und während Krefeld am Frühstückstisch sitzt, liege ich schlafend im Bett und träume von Mürbeteighäschen, Brötchen und Croissants. //on

Bäckerei Gruyters
Nauenweg 34d
47805 Krefeld
Telefon: 0 21 51 – 38 90 38
E-Mail: info@baeckerei-gruyters.de
baeckerei-gruyters.de

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