Stephanie Lichters

Wie wird man eigentlich… freie Theologin?

Nach 17 Jahren in der Gemeinde- und Sonderseelsorge machte sich Stephanie Lichters 2013 als freie Rednerin selbstständig.

Mit Ausnahme eines Kinofilms aus den 90er-Jahren werden Hochzeiten und Todesfälle selten in einem Satz genannt. Tatsächlich haben beide Ereignisse aber viel gemeinsam: Es geht um große Gefühle und Menschen, die uns etwas bedeuten. Stephanie Lichters spricht, wenn andere schweigen, und findet als freie Trauer- und Hochzeitsrednerin die richtigen Worte, um Geliebte zu verabschieden und Verliebte zu einen. Für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …“ trafen wir die studierte Theologin auf dem Friedhof in Hüls. Und lernten dort, wie kostbar das Leben ist.

Es ist noch ziemlich frisch an diesem Vormittag, als wir uns zum Gespräch auf dem Hülser Friedhof begegnen. Doch die Sonne hat sich schon gegen die Wolken durchgesetzt, und die Magnolien entlang der Kriegsgräber beweisen mit ihren weißen Blüten, dass wirklich Frühling ist. Stephanie Lichters hat ihre Kleidung passend zum Standort gewählt: Im dunklen Mantel über der grau-karierten Hose steht sie so ruhig da, als hätte sie Wurzeln, die schwarzen Schuhe so wetterfest, dass sie nach einem Gang durch Pfützen oder Matsch bestimmt leicht zu reinigen sind. Die 50-jährige Theologin lächelt gern und viel, während sie uns von ihrer Berufung erzählt: „Das Leben ist kostbar und einmalig. Die besonderen Momente des Lebens verdienen es, bewusst gestaltet und gefeiert zu werden, denn wir erleben sie nur einmal.“

Mit zwei Diplomen als Theologin und Religionspädagogin und nach 17 Jahren in der Gemeinde- und Sonderseelsorge hat sie sich im Jahr 2013 als freie Rednerin selbstständig gemacht. Denn sie wollte als Frau nicht mehr in der katholischen Kirche arbeiten und wagte einen beruflichen Neuanfang auf Basis ihrer Stärken: Einfühlungsvermögen, Respekt und Zuverlässigkeit. „Ich habe ziemlich feine Antennen für Stimmungen und Atmosphäre. Ich merke schnell, was bei meinem Gegenüber los ist, und kann mich gut auf andere einstellen“, schreibt sie auf ihrer Webseite. Die theologische „Kunst des Predigens“, die sogenannte Homiletik, hatte sie bereits während der Ausbildung ausgiebig kennengelernt, dazu kam ihre große Liebe zu Lyrik und Literatur von Erich Fried, Hilde Domin, Reiner Kunze oder Hermann Hesse. Dass Gedichte etwas in wenigen Worten auf den Punkt bringen können, fasziniere sie bis heute.

Schon vor Jahren stellte sie außerdem fest, dass die Nachfrage nach nicht-kirchlich gebundenen Trauerfeiern kontinuierlich steigt. Immer weniger Bestattungen werden in Deutschland kirchlich begleitet. Nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Katholischen Bischofskonferenz betrug der Anteil kirchlicher Bestattungen im Jahr 2019 nur noch 52,2 Prozent. Dies entspricht 489.275 Bestattungen bei insgesamt 936.591 Verstorbenen, davon 255.338 evangelisch und 233.937 katholisch begleitet. Zehn Jahre vorher waren es 64,9 Prozent, im Jahr 2000 sogar noch 71,5 Prozent. „Die Menschen wollen kein unpersönliches Ritual, bei dem lediglich Namen ausgetauscht werden, es soll individuell zugehen“, berichtet die Krefelderin. Und so hat sie bereits „hunderte, vielleicht tausende“ freie Zeremonien geplant und durchgeführt, immer abgestimmt auf die Zielgruppe, den Anlass, den äußeren Rahmen. Lichters verspricht: „Jede Feier und jede Rede wird von mir neu und ganz persönlich konzipiert.“

Im Schnitt hält sie mehr Trauer- als Traureden, die Quote ist eher neun zu eins, nicht wie im Film „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“. Doch die Wahl-Hülserin mit Hund mag diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, und ihre Falten rund um die blauen Augen zeigen, dass Lachen eigentlich ihr zweites Hobby ist. Was bei dem täglichen Umgang mit Tod und Trauer zunächst wie ein Widerspruch klingt, ist Teil ihrer ganz persönlichen Haltung: „Ich will authentisch und professionell sein und den Menschen offen und direkt begegnen.“ Aus täglicher Erfahrung weiß sie, wie schmerzhaft der Moment am Grab sein kann, und verhält sich entsprechend zugewandt. Grundsätzlich sei ihr Ziel, auch immer Trost und Hoffnung zu spenden. Sie betont: „Mir liegt es sehr am Herzen, die Toten zur Sprache zu bringen und damit zugleich die Lebenden anzusprechen. Für mich ist das ein wichtiges Stück Trauerbewältigung, dieser bewusste Abschied von einem Freund oder lieben Verwandten. Daher steht die Person des Verstorbenen bei meiner Rede absolut im Mittelpunkt.“

Gutes Zuhören beim Vorgespräch und eine sorgfältige Vorbereitung der Rede seien wichtige Zutaten für eine gelungene Trauerfeier, weiß Lichters. Sie frage daher genau nach, wie das Sterben war, beschäftigt sich mit dem Leben des Verstorbenen, bespricht den äußeren Rahmen und klärt persönliche Musikwünsche. So kämen die Songs „Niemals geht man so ganz“ und „Time to say goodbye“ seit Jahren nicht aus der Mode, lächelt die Seelsorgerin. Wichtig sei auch die Frage, was von der Person bleibe und was die Lebenden an Trost, Erkenntnis oder Lebensweisheiten von ihm mitnehmen könnten. „Was genauso bei einem außergewöhnlichen wie bei einem eher durchschnittlichen Leben geht“, so die Trauerrednerin. Dabei verwendet Stephanie Lichters gern Zitate, Gedichte, persönliche Referenztexte oder auch Gebete – und erzählt am Ende ein ganzes Leben in knapp zwanzig Minuten.

In ihren individuellen Trau- und Trauerreden bringt die freie Theologin Stephanie Lichters die Dinge auf den Punkt.

Aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Gemeindearbeit könne sie bei vielen herausfordernden Momenten heute noch schöpfen. Diese Basis helfe in schwierigen Situationen, wenn sie mit totgeborenen Babys oder verstorbenen Kindern zu tun habe, bei Selbstmorden, tragischen Unfällen, Verbrechen oder Menschen, die mit ihrer Umwelt im Streit lagen. Besonders eindrücklich sei der unvorhergesehene Tod einer jungen Frau gewesen, die auf dem Weg einer Geschlechtsumwandlung war und zwei Vornamen, einen weiblichen und einen männlichen, geführt hatte. „Und andererseits sind da so viele Augenblicke mitten aus dem Leben: eine Runde Schnaps direkt am Grab, das Zischen einer Bierdose oder auch mal eine komplette Reibekuchenbude vor dem Friedhof, weil der Tote diese niederrheinische Spezialität einfach liebte.“ Sie lächelt wieder.

Unter freien oder weltlichen Trauer- und Hochzeitsrednern scheint es viele Quereinsteiger wie beispielsweise zahnmedizinische Fachangestellte, Journalisten oder Ingenieure zu geben, wie eine kurze Internet-Recherche ergibt. Auch Bestatter übernehmen diese Aufgabe gelegentlich, und in einigen Städten bieten die Industrie- und Handelskammern erste Fortbildungen mit Zertifikat ein. Wer Stephanie Lichters engagiert, weiß ihre besondere Qualifikation, den theologischen Hintergrund und vor allem ihre freundliche empathische Art zu schätzen. „Meine Ausbildung für die Begleitung von Menschen hilft mir ungemein. Junge Brautpaare nehmen bei mir inhaltlich etwas mit, wovon sie noch Jahre zehren. Und trauernde Angehörige sind dankbar, dass ich sie und ihre Gefühle verstehe und alle Informationen vertraulich behandle“, berichtet sie aus ihrem Berufsalltag.

Nachdem wir den Friedhof verlassen haben, spricht sie in ihrer gemütlichen kleinen Küche weiter: „Was Reden bewirken können, kennen wir aus der Politik. Berühmte Reden, wie die von Martin Luther King, Mahatma Gandhi oder Barack Obama haben die Weltgeschichte stark beeinflusst. Auch die Rhetorik von Wolodymyr Selenskyj besitzt eine große Kraft. Ganz so weltbewegend sollen meine Reden nicht sein, aber sie können ebenso trösten, aufrütteln, Perspektiven eröffnen oder Versöhnung ermöglichen.“ Mit ihrer geliebten Mischlingshündin Smilla dreht die 50-Jährige jeden Tag lange Runden durchs Hülser Bruch, um abzuschalten, aber auch frische Ideen für ihre Texte über das Leben zu sammeln. Albert Schweitzer, Arzt, Philosoph und Friedensnobelpreisträger, sagte einst: „Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.“ Und Stephanie Lichters bringt sie auf den Punkt.

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