Rüdiger Ziesemann

Wie wird man eigentlich … Instrumentenbauer?

Rüdiger Ziesemann machte sein Hobby zum Beruf.

Wenn die Finger über die Saiten fliegen, dann steuern wir sie selbst. Wir sind selbst dafür verantwortlich, welche Melodie entsteht. Ob wir die Saiten slappen und der Ton dadurch ein bisschen dynamischer ist, ob wir sie tappen und nur ganz kurze Töne erzeugen oder ob wir klassisch im Wechselanschlag die Finger spielen lassen – immer erzeugen wir die Tonfolge eigenständig. Was am Bass gut funktioniert, verhält sich im Leben oft schwieriger. Nicht immer haben wir Einfluss auf das, was passiert, nicht immer können wir auf eine bestehende Technik zurückgreifen und nicht immer entwickelt sich die Melodie so harmonisch, wie wir sie uns wünschen. Auch der Hülser Rüdiger Ziesemann kann davon ein Lied singen. Als junger Mann suchte er vergeblich nach seinem Traumberuf. Als er diesen dann endlich fand, gab es allerdings keine schon vorgeschriebene Partitur, die ihn zum Ziel brachte. Seine individuelle Melodie musste er selbst finden. Im CREVELT-Interview schaut Ziesemann mit uns zurück: „Wie wird man eigentlich… Instrumentenbauer?“

Schon immer hatte der in Kempen geborene Ziesemann zwei Hobbys: Das Basteln an Elektronik und das Proben mit seiner Band. Richtig empfand er damals nach dem Abitur die Entscheidung, Elektrotechnik in Aachen zu studieren. Aber zwei Semester und einige Prüfungen später, kam die Einsicht: Mit Basteln hatte das doch sehr mathematische Studium nicht wirklich etwas gemeinsam. Für ein Praktikum bei einem Schreiner kehrte er für einige Wochen in die Heimat zurück. „Und da merkte ich schnell, dass mich der Werkstoff Holz total faszinierte“, erinnert er sich. „Kreativ zu sein und ein Produkt zu entwickeln, an dem sich jemand anderes erfreut, das erfüllte mich.“ Ein neuer Werdegang war vorerst gefunden. Fand sein anderes Hobby, die Musik, nach dem Arbeitstag gemeinsam mit seiner Band Raum, lernte er bei Tageslicht von seinem Lehrmeister den Innenausbau. Warum aber nicht das eine Hobby mit dem anderen verbinden, fragte er sich irgendwann, und begann, auch im elterlichen Haus eine Werkstatt einzurichten. „Es war ja nur ein logischer Schritt, selbst ein Instrument zu bauen“, sagt er heute schmunzelnd und streicht mit den Fingern über seinen Blaumann. Ein Bass sollte sein Erstlingswerk sein. Leichter gesagt, als getan.

Heute durchforsten wir das Internet. Wir bestellen uns Einzelteile von Instrumenten im Netz und versuchen sie anhand von Videotutorials zusammenzubauen. Damals aber waren die Recherchen deutlich schwieriger, denn das Internet gab es in dieser Form noch nicht. Der junge Schreiner-Azubi widmete sich also zuerst seinen Recherchen. Ziesemann studierte nicht nur die Literatur, sondern fragte auch bei Freunden und in Musikerkreisen herum. „Man fand immer mal wieder jemanden, der sich an einem Instrument versucht hatte“, erinnert er sich. „Einer konnte mir zum Beispiel erklären, wie ich den Abstand der Bünde richtig festlegte.“ Am Ende aber war alles vor allem ein großes Ausprobieren. Schnell wurde dabei klar, dass Ziesemann ein besonderes Talent besaß, denn bereits sein erster Bass war spielbar. In seiner Blues- und Jazzrock-Band probierte er ihn aus. „Das war ein reines Glücksgefühl“, sagt er mit seiner leicht schüchternen Art und grinst erneut. „Immer wieder ist es ein Highlight, ein selbstgebautes Instrument zu spielen.“ Erfüllte ihn dieses Gefühl kurzfristig, kam schnell der Anspruch, die eigenen Fähigkeiten weiter zu optimieren. Er baute den zweiten, den dritten und den vierten Bass und entschloss sich, das Hobby zum Beruf zu machen. Ziesemann fasste den Plan, Instrumentenbauer zu werden.

Die Faszination für den Werkstoff Holz stand am Anfang von Ziesemanns Laufbahn.

„Eine richtige Idee aber, wie ich das anstellen wollte, hatte ich nicht“, erklärt Ziesemann weiter. Kurz gesagt: Es gab und gibt auch heute keinen vorgeschriebenen Ausbildungsweg als Instrumenten- bzw. spezialisierter Bassbauer. Der Kempener entschloss, den Schreiner-Meister nachzuholen, den es für eine Selbstständigkeit im Handwerk braucht. Außerdem gründete er ein klitzekleines Ladenlokal. Auf zehn Quadratmetern verkaufte er die selbstgebauten Instrumente, aber auch Fremdmarken und Zubehör. Reichte das Geld hinten und vorne nicht, um sich eigenständig zu finanzieren, schuftete er in jeder freien Minute im Innenausbau und legte jeden Pfennig für sein eigenes Geschäft zurück. 1993 drückte ihm die ständige Doppelbelastung aufs Gemüt. „Ich merkte, dass ich in dieser Phase immer unglücklicher wurde“, erinnert er sich. „Der Rücken tat weh, der Möbelbau langweilte mich und ich wollte einfach Instrumente bauen.“ Und so wagte er im gleichen Jahr den großen Schritt: Er entschied, den Instrumentenbau ab jetzt hauptberuflich zu betreiben. Das war die Geburtsstunde seines inzwischen in der Szene weitbekannten Ladens „Bassline“ mit angeschlossener Werkstatt.

Die ersten Jahre der „richtigen“ Selbstständigkeit prägten seine alte Bestimmung: Bastelnd und tüftelnd probierte sich Ziesemann aus und entwickelte neue Instrumente. Eines davon war bahnbrechend und verhalf dem Krefelder zu plötzlichem Erfolg. Er baute einen Bassstuhl und entwarf daraus ein Instrument, das man sowohl als Kontrabass als auch als klassischen Bass einsetzen konnte. Unter dem Titel „Universal“ stellte er dieses Instrument auf der Messe „Sound und Musik“ vor, bei der auch die Fachpresse auf ihn aufmerksam wurde. In einem Jahr verkaufte er infolgedessen 40 Instrumente – neun Stück davon gingen allein nach Asien. „Das waren außergewöhnliche Zeiten“, schwärmt er heute. Aber auch unabhängig von seiner besonderen Erfindung, machte sich Bassline einen Namen. Während nach der Jahrtausendwende immer mehr Fachgeschäfte in den Stadtgebieten schlossen, wurde der Laden zur Topadresse für spezialisiertes Publikum.

Das Gefühl, ein selbst gebautes Instrument zum ersten Mal spielen zu dürfen, ist immer wieder etwas ganz Besonderes.

Heute bedient Ziesemann Kunden aus der ganzen Welt. Sie können individuelle Instrumente bei ihm kaufen oder nach ihren Wünschen anfertigen lassen, sie können für Reparaturen oder Kleinstleistungen wie das Saitenaufziehen vorbeikommen oder sogar Workshops besuchen, in denen sie ihr eigenes Instrument bauen. Dafür hat der Schreinermeister seine Räumlichkeiten immer weiter ausgebaut. In einem charmanten Hinterhofgelände in Hüls ver- größerte er mit der Zeit sein Ladenlokal und schloss eine große Werkstatt an. Wird den Instrumenten im vorderen, schmalen Teil der Feinschliff verliehen, lagern in einer großen Halle im hinteren Teil der Werkstatt etliche Hölzer.

Auch Philipp Maike ist heute fester Teil seines Teams und unterstützt Ziesemann beim Instrumentenbau. Immer wieder bildete der Meister Azubis aus. Allerdings nur als klassischen Schreiner. Natürlich lernen die Azubis in der Hülser Werkstatt auch den Instrumentenbau kennen, eine spezialisierte Ausbildung aber kann er nicht anbieten. „Jeder einzelne Instrumentenbauer ist einen eigenen Weg gegangen“, schließt er ab. „Es gibt kein Patentrezept. Du brauchst einfach Biss.“ Und so ist es am Ende wohl wie in der Musik: Zwar gibt es Partituren, die nachgespielt werden können, der passendste Song aber stammt aber immer aus der eigenen Feder.

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