Laurits Follert

75 Tage bis zur Ewigkeit

Es gibt deutsche Sportmannschaften, die umweht der Hauch des Mythos. Die legendäre 1954er DfB-Elf um Fritz Walter kommt einem sofort in den Sinn, und nicht wenige Fußballfans können die Aufstellung aus dem WM-Finale gegen Ungarn wahrscheinlich im Schlaf aufsagen. Andere Teams sind hingegen so dauerhaft erfolgreich, dass ihre Triumphe gar nicht mehr mit einzelnen Namen verknüpft sind: Der ruhmreiche Deutschland-Achter – die Ruder-Nationalmannschaft und das Flaggschiff des Deutschen Ruderverbandes – muss hier genannt werden: Er gewann bis heute vier olympische Goldmedaillen, 14 WM- und 14-EM-Titel. Zur aktuellen Besetzung gehört mit Laurits Follert auch ein „Krefelder im Herzen“: Der gebürtige Rumelner stieß die Blätter zum ersten Mal für den Crefelder Ruder-Club 1883 e.V. ins Uerdinger Rheinwasser – und bereitet sich aktuell auf die Olympischen Spiele in Tokio vor.

Nur noch 75 Tage sind es bis zum großem Tag, doch Laurits Follert ist kernentspannt. „Die Nervosität wird noch kommen und sich dann bis zum Wettkampftag kontinuierlich steigern. Wahrscheinlich geht es los, wenn ich die offizielle Olympia-Bekleidung bekomme. Und in der Nacht vor einem Rennen schlafe ich dann meistens sehr schlecht“, lacht er. Der 25-Jährige kam über seinen drei Jahre älteren Bruder Caspar zum Rudersport, nachdem sich seine Handballmannschaft aufgelöst hatte, und wurde sofort vom Ruderfieber gepackt: „Draußen auf dem Wasser zu sein, fühlte sich einfach einmalig an“, erinnert er sich. Das war 2009, und seitdem hat der Duisburger eine beachtliche Karriere hingelegt: 2013 wurde er Junioren-Weltmeister, 2015 U-23-Weltmeister, dazu jeweils Dritter bei den U-23-Weltmeisterschaften 2016 und den Deutschen Kleinbootmeisterschaften 2018. 2019 ging dann der Traum in Erfüllung, der wahrscheinlich jeden ambitionierten deutschen Ruderer nachts wachhält: Laurits Follert qualifizierte sich für einen Platz im sagenumwobenen Deutschland-Achter. „Das war schon Wahnsinn, plötzlich Teil dieser Mannschaft zu sein, die ich als 16-Jähriger beim Olympiasieg in London vor dem Fernseher bejubelt hatte. Damals dachte ich nur, wie geil es wäre, irgendwann dazuzugehören“, grinst Follert.

Was es wirklich bedeutet, im Deutschland-Achter zu sitzen, erfuhr er dann schon bei seinem ersten großen Wettbewerb, der Europameisterschaft in Luzern, wo man sich nur hauchdünn gegenüber den zweitplatzierten Briten behauptete: „Nach dem Rennen war die Unzufriedenheit groß, weil alle wussten, dass das Rennen trotz des Sieges nicht gut gelaufen war. Es wurden Fehler kritisiert, kaum einer freute sich. Ich dachte nur: ,Aber wir haben doch gewonnen?’“, lässt er seine Premiere rekapitulieren, bevor er anfügt: „Der Druck in diesem Boot ist extrem hoch. Nicht nur von außen, sondern auch intern, denn wir wollen alle den maximalen Erfolg. Eine Silbermedaille ist eigentlich schon eine Katastrophe.“

Auch nach Tokio fährt Follert mit einem ganz klaren Ziel: die Goldmedaille zu gewinnen. Die war eigentlich schon für das vergangene Jahr anvisiert, bevor Corona die Olympia-Ausrichtung verhinderte. „Ich fiel erst einmal in ein Loch, als die Verschiebung feststand, konnte mich im Heimtraining kaum motivieren“, beschreibt der Ruderer das Gefühl. „Erst als wir das Mannschaftstraining unter Pandemie-Bedingungen wieder aufnahmen, besserte sich die Stimmung.“ Ein Jahr ist doch nicht die Welt, denkt man sich vielleicht, doch für Ruderer, die mit ihrem Sport kaum Geld verdienen, für den bedingungslosen Erfolg aber Ausbildung, berufliche Laufbahn und Familienplanung auf Eis legen müssen, können 12 Monate Warteschleife einen erheblichen Einschnitt bedeuten. Follert selbst hat sein Studium der Physiotherapie vor kurzem aufgegeben, weil die Zeit zum intensiven Lernen einfach nicht da ist, und sich einen Ausbildungsplatz bei der Bundespolizei gesichert. „Für die Olympischen Spiele bin ich ein Jahr freigestellt worden. Durch die Verlegung verzögert sich mein Ausbildungsstart jetzt um ein weiteres Jahr. Und natürlich wäre ich auch bei den nächsten Spielen wieder gern dabei. Wenn ich dann mit der Ausbildung fertig bin, bin ich Anfang 30. Das lässt mich schon grübeln“, gesteht er.

Noch läuft die Vorbereitung für das sportliche Highlight des Jahres. Der Tagesplan ist für Follert eng getaktet und beginnt am Olympiastützpunkt in Dortmund morgens um 7:30 Uhr mit dem ersten Training. Nach zwei Stunden, um 9:30 Uhr, gibt es Frühstück und eine Mittagspause, bevor er um 14 Uhr für weitere zwei Stunden wieder im Boot sitzt. „Nach dem Abendessen falle ich dann meistens schon ins Bett“, schmunzelt er. Zweimal in der Woche gibt es Krafttrainings-Einheiten, sonntags ist der Nachmittag frei. Unterbrochen wird dieser Marathon durch Wettkämpfe: Am Pfingstwochenende gibt es einen wichtigen Test beim Worldcup in Luzern, nur eine Woche später geht der Achter im italienischen Sabaudia ins Wasser. Zwei Wochen vor Beginn der Spiele bezieht das Team ein Trainingslager in Tokio, um dann am Tag der Entscheidung optimal vorbereitet zu sein. Eine Schmach wie bei der EM in Varese im April, als der Achter nur Vierter wurde und zum ersten Mal seit 2008 nicht auf dem Treppchen landete, soll sich auf gar keinen Fall wiederholen.

„Wir waren einfach nicht gut vorbereitet“, gesteht Follert. „Die wichtigen Ausscheidungsrennen waren coronabedingt ausgefallen und uns fehlte die Kondition, um auf der zweiten Hälfte noch einmal nachlegen zu können.“ Neben der Ausdauer – besonders die Beinmuskulatur wird beim Rudern erheblich belastet – kommt es vor allem auf das blinde Verständnis der acht Ruderer plus Steuermann an. Schon winzige Nuancen können im Rennen jene Sekundenbruchteile kosten, die am Ende über Sieg oder Niederlage entscheiden. Für den Zuschauer am Bildschirm sind diese Nuancen kaum sichtbar, doch im Boot selbst merken die Sportler sehr genau, ob es „flutscht“ oder nicht: „Wenn man so viel Zeit gemeinsam auf dem Wasser verbringt, spürt man jede Unregelmäßigkeit, auch wenn man gar nicht genau sieht, was die anderen machen. Man spürt das Kippeln des Bootes, merkt, dass der Zug nicht da ist. Wenn alles gut läuft, kommt man in einen gemeinsamen Flow, den es braucht, um über die volle Distanz am Limit zu rudern. Aber der stellt sich nur durch regelmäßiges Training und blindes Verständnis ein. Das fehlte in Varese“, resümiert Follert.

Solche Fehler auszugleichen oder ihnen entgegenzuwirken, ist Aufgabe des Steuermanns, eine Funktion, die im Deutschland-Achter Martin Sauer einnimmt, mit 38 Jahren auch der Älteste im Team. „Martin hat ein unglaubliches Wissen und er sieht Dinge, die kein anderer sehen würde. Er schaut zum Beispiel auf die Blätter der Riemen und die Bewegungsabläufe und ruft uns dann seine Anweisungen zu – oder er kündigt die regelmäßigen Zwischenspurts an, die wir einlegen“, erklärt der Olympionike. „Er redet während eines Rennens eigentlich ununterbrochen, das ist schon Wahnsinn.“ Für den Steuermann gelten demnach auch ganz andere Anforderungen als für die Ruderer: Er sollte möglichst leicht sein, muss aber mindestens 55 Kilogramm wiegen. „Damit wird verhindert, dass Kinder für diese Position besetzt werden“, schmunzelt Follert. „Zwischen lauter kraftstrotzenden Hünen ist der Steuermann somit der Kleinste im Boot. Die Besetzung der anderen Sitzplätze ist mehr oder weniger austauschbar.“ Zwar sagt man, dass der Schlagmann den Rhythmus vorgeben und in der Mitte die kräftigsten Ruderer sitzen sollten, aber der Deutschland-Achter ist auf allen Plätzen so gut besetzt, dass sich Trainer Uwe Bender den Luxus erlauben kann, den muskulösen Follert auf Position 2 zu platzieren.

Wenn Follert über das Rudern spricht, ist er voll in seinem Element. Er führt, auf einer Bierbank des Bootshauses am Elfrather See sitzend, typische Bewegungsabläufe vor und spricht mit jener selbstbewussten Gelassenheit über seinen Sport, die den absoluten Profi erkennen lässt. Und dann spürt man doch, wie die Vorfreude auf das Großevent bei ihm so langsam wächst. Auch wenn es schon ein bisschen nervig ist, tagein, tagaus mit denselben acht Typen zusammen zu sein. „Beim abendlichen Mario-Kart-Zocken kommt es durchaus schonmal zu Ausschreitungen“, räumt Follert lachend ein. Aber die Mitglieder des Deutschland-Achters sind ehrgeizig genug, um sich am nächsten Tag für den gemeinsamen Erfolg wieder voll in die Riemen zu legen. Sie alle träumen schließlich denselben Traum: „Weltmeister kann man jedes Jahr werden, Olympiasiege sind für die Ewigkeit“, sagt Follert. Wir drücken ihm die Daumen!

Sponsoren-Aufruf: Um den nötigen „Rückenwind“ für seine Ruder-Karriere zu erhalten und seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, ist Laurits Follert auf Sponsoren angewiesen. „Besonders freue ich mich natürlich über Unterstützung aus meiner Heimat“, sagt er. Unternehmen, die Interesse haben, einem Mitglied des Deutschland-Achters unter die muskulösen Arme zu greifen, wenden sich direkt an ihn.
E-Mail: laurits-f@gmx.de

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