Anke Zimmermann

Geld oder Liebe

Nach den zuletzt fast winterlichen Temperaturen scheint die Sonne heute endlich wieder richtig frühlingshaft. Das Gartengrundstück hinter dem Mehrfamilienhaus ist wunderschön begrünt, die Vögel zwitschern in den Bäumen und von nebenan grüßt freundlich eine Nachbarin, die sich emsig der Gartenarbeit widmet. Innen hält das gerade vier Wochen alte Kindlein friedlich Mittagsschlaf beim Papa, es ist geradezu unverschämt ruhig. So ruhig, wie es in Anke Zimmermanns Beruf sonst nur selten zugeht: Die frischgebackene Mutter ist Fachanwältin für Strafrecht und bekommt es dabei regelmäßig mit Menschen in schweren Krisen und Fällen zu tun, von denen wir mit offenem Mund in der Zeitung lesen.

„Ich verleihe dem Menschen hinter der Tat ein Gesicht“

Die junge, attraktive Frau ist zunächst noch ein wenig nervös: „Normalerweise lehne ich Presseanfragen immer ab“, erklärt sie. „Aber weil ich das CREVELT Magazin selbst gern lese, fiel es mir leicht, zuzusagen.“ Sieht man ihre Schuhe im Bild, sitzen die Haare? Erst als sie einen Blick auf das Kameradisplay geworfen hat, entspannt sie sich. Eitelkeit, Misstrauen? Eher scheint es so, dass die seit 2015 selbstständige Anwältin genau weiß, wie wichtig Außenwirkung in ihrem Beruf ist: In einer Gerichtsverhandlung, wenn es für ihre Mandanten um jahrelange Haftstrafen geht, kommt es auf jedes Detail an. Auf den Eindruck, den ihre Garderobe hinterlässt. Den Tonfall, mit dem sie ihre Fragen an den Zeugen richtet. Den Zeitpunkt, an dem sie ihr Trumpf-Ass ausspielt. Darauf, im Plädoyer nicht an vorgefertigten Argumentationen zu kleben, sondern flexibel zu bleiben und spontan auf den Staatsanwalt reagieren zu können. Für eine Frau, die sich in der Männerdomäne „Strafrecht“ behaupten muss, gilt das umso mehr: „Ich musste zu Beginn meiner Laufbahn hart an mir arbeiten, um mir den Respekt von Richtern und Staatsanwälten zu erkämpfen“, erinnert sie sich. „Als junge Frau wird man in diesem Beruf besonders kritisch beäugt und muss sich manchen dummen Spruch gefallen lassen. Auch Mandanten glauben oft, sie könnten mir sagen, was ich zu tun habe. Da gilt es, klare Kante zu zeigen, Durchsetzungsvermögen zu beweisen und natürlich durch Leistung zu überzeugen.“ Das ist ihr gelungen – und man spürt, wie stolz sie darauf ist: In den letzten Jahren betreute Zimmermann erfolgreich große Fälle, über die auch in den regionalen Medien ausführlich berichtet wurde, vertrat schwierige Mandate wie die so getaufte „Schlüsseldienst-Mafia“ aus Geldern oder den „Axt-Angreifer“ aus Rees. Heute stellt niemand mehr ihre Kompetenz infrage oder glaubt, er habe es mit einem leicht manipulierbaren „Blondchen“ zu tun. Und wenn doch, bekommt er garantiert die passende Antwort von ihr. Man möchte Anke Zimmermann nicht unbedingt als Gegnerin haben. Sie weiß genau, was sie will und wie sie ihr Ziel erreicht.

Das spiegelt auch ihr Werdegang wider: Die Entscheidung für das Jurastudium traf die gebürtige Krefelderin schon in der Schule. Am Moltke-Gymnasium nahm sie begeistert an der Rechtskunde-AG teil und absolvierte in der zehnten Klasse ein Praktikum am Amtsgericht. Nach dem Abitur schrieb sie sich prompt zum Studium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn ein – als erste Akademikerin ihrer Familie: „Meine Mutter arbeitete als Erzieherin und mein Vater war Immobilienmakler. Meine Eltern ließen sich noch während meiner Kindheit scheiden und mein Großvater übernahm für mich die Rolle des Vaters. Vielleicht prägten die Streitigkeiten über ausbleibende Unterhaltszahlungen meine spätere Berufsentscheidung, aber ich hatte immer eine sehr glückliche und behütete Kindheit“, lächelt die Anwältin, die heute mit ihrer jungen Familie das Haus der verstorbenen Großeltern bewohnt. Dass sie sich dennoch auf das harte Strafrecht spezialisierte, hat wenig mit ihrer eigenen Biografie, dafür sehr viel mit ihrer sozialen Ader zu tun: „Es sind die Menschen hinter den Fällen, ihre Geschichten, die mich faszinieren“ sagt Zimmermann. „Mich interessiert, was im Leben dieser Menschen passiert war, warum sie zu Tätern wurden.“ Vor Gericht besteht ihr Job nicht zuletzt darin, diese Beweggründe offenzulegen: „Ich verleihe dem Menschen hinter der Tat ein Gesicht, versuche, seine Tat nachvollziehbar zu machen“, beschreibt sie ihre Aufgabe, die plötzlich gar nicht mehr nach abstrakter Paragrafen-Reiterei klingt. „Natürlich benötige ich dafür juristisches Rüstzeug, ich muss das Gesetz und die Rechtsprechung kennen. Aber neben diesen Fähigkeiten kommt es nicht minder auf Empathie, Menschenkenntnis und auf rhetorische Begabung an.“ Um die Hintergründe einer Tat zu begreifen, muss sie zuerst eine Vertrauensbasis schaffen, auf der ihre Mandanten bereit sind, sich ihr zu öffnen – aber sie muss auch verstehen, wie etwa Zeugen anzusprechen sind, damit sie jene Details preisgeben, die ihr in ihrer Argumentation helfen. „Das ist mir eigentlich immer leicht gefallen“, lächelt Zimmermann, „denn ich war schon immer ein kommunikativer Mensch.“

Ein Mensch, der Konflikte darüber hinaus nicht scheut, sondern als Herausforderung begreift: Neben dem Staatsanwalt steht Zimmermann oft auch das „gesunde Volksempfinden“ entgegen, nach dessen Auffassung Strafen fast grundsätzlich zu lasch ausfallen. Unter einem Beitrag zum „Axt-Angreifer“ auf ihrer Facebook-Seite äußert ein User Unverständnis darüber, dass eine schlechte Kindheit immer als Entschuldigung herhalte. „Faktisch ist es leider so, dass viele Straffällige eine schwierige Lebensgeschichte hinter sich haben, die ihre Entscheidungen beeinflusst oder ihr Urteilsvermögen trübt“, schildert sie ihre Erfahrungen. Wie anders ließe es sich sonst erklären, dass jemand ein Kilogramm Heroin in einem Kondom im Enddarm mit sich herumträgt? Dass eine Frau den Freispruch ihres Ehemannes erfleht, der sie fast mit einem Hammer erschlagen hätte? Bei Wiederholungstätern ist das Vergehen nicht selten ein verzweifelter Hilferuf: Zimmermann berichtet von einem 50-fachen Schwarzfahrer, einem Drogenabhängigen, der letztlich auf den Entzug hoffte, der mit seiner Haftstrafe zwangsläufig einherging. „Meine Aufgabe ist es, diesen Menschen vor Gericht eine Stimme zu geben. Denn ich vertrete die Meinung, dass jeder das Recht hat, angehört zu werden, unabhängig davon, was er getan hat.“ Das führt sie oft in dramatische Grenzbereiche: Der Axt-Angreifer, ein 30-jähriger Flüchtling aus Marokko, hatte im Jahr 2018 einen Fahrrad-Unfall simuliert und einen anhaltenden Autofahrer aus dem Hinterhalt mit einer Axt attackiert. Nachdem er zunächst zu sieben Jahren Haft und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt worden war, erwirkte Zimmermann die Revision des Urteils. Der Angeklagte wurde schließlich wegen Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit freigesprochen und zur Behandlung in eine Klinik eingewiesen. „Machen wir uns nichts vor: Dieser Vorfall war ein absolutes Horrorszenario für die Opfer. Aber in den Gesprächen mit dem Angeklagten wurde sehr schnell klar, dass er psychisch krank war. Ein Gutachten bestätigte, dass er unter einer paranoiden halluzinatorischen Psychose litt“, beschreibt Zimmermann den Fall. „Das musste im Urteilsspruch Berücksichtigung finden. Aber ich habe Verständnis dafür, dass die Opfer das nicht immer einsehen können.“

In einem anderen Fall, der die Anwältin sehr bewegte, hatte eine ehemalige Trickbetrügerin eine Frau angegriffen, schwer verletzt und sah sich nun einer Anklage wegen versuchten Mordes gegenüber. „Sie war zuvor selbst auf einen Betrüger im Internet hereingefallen, der ihr die große Liebe vorgaukelte und sie dazu brachte, ihm große Geldsummen zu überweisen“, erzählt Zimmermann. „Um mehr Geld für ihn zu bekommen, verschaffte sie sich Zugang zur Wohnung ihrer Nachbarin und verletzte diese dabei schwer. Das Spannende daran war zum einen, dass eine Betrügerin selbst einem Betrüger so naiv auf den Leim gegangen war, zum anderen, dass sie überhaupt gewalttätig geworden war. Denn normalerweise neigen Betrüger nicht zu Gewalttaten. Was man für ein Klischee schlechter Romane oder Filme hält, erweist sich aber erstaunlich oft als sehr wahr: Für Geld oder Liebe sind Menschen tatsächlich bereit, die verrücktesten Dinge zu tun.“ Zimmermann erwirkte als Verteidigerin schließlich, dass die Tat „nur“ als schwerer Raub beurteilt wurde. „Dass manche Urteilssprüche für Außenstehende, die die genauen Hintergründe nicht kennen, nur schwer zu verstehen sind, ist oft auch der Darstellung in der Presse geschuldet. Journalisten verfolgen selten den ganzen Prozess und sparen wichtige Details in ihrer Berichterstattung aus“, bemängelt sie. „Aber es gibt durchaus Urteile, die auch ich nicht nachvollziehen kann. Und dass es mitunter vom Gericht abhängt, welches Strafmaß man zu erwarten hat, widerspricht auch meinem Verständnis von Gerechtigkeit.“

Neben der Empathie bedarf es auch einer gewissen Distanz, um angesichts einer solch diffizilen, verantwortungsvollen, bisweilen belastenden Tätigkeit nicht aufgezehrt zu werden. Anke Zimmermann ist dieser Spagat gelungen. Nach anfänglicher Nervosität wirkt sie gelöst, selbstbewusst, gefestigt an diesem Tag im Garten, den sie seit ihrer Kindheit kennt. „In der Rechtsprechung hat Emotionalität nichts verloren“, sagt sie ohne Kompromiss, „da unterscheiden sich Anwälte oder Richter von den unmittelbar Beteiligten.“ Trotzdem gibt es auch für sie Grenzen, die sie nicht überschreiten möchte: „Klienten aus dem organisierten Verbrechen würde ich nicht vertreten. Und vor Fällen von Kindstötung schrecke ich auch zurück – als Mutter natürlich noch mehr als ohnehin schon.“ Angst hat sie nicht, aber Details über ihr Privatleben hält Zimmermann so gut es geht geheim. Dass ein sich betrogen fühlender ehemaliger Mandant ihr trotzdem etwas antun könnte, ist ein Berufsrisiko, mit dem sie zu leben gelernt hat. Neben den geläufigen Vorsichtsmaßnahmen sollen sie vor allem ihre Ehrlichkeit und Offenheit schützen: „Ich mache meinen Mandanten keine unrealistischen Versprechungen, bloß um einen lukrativen Fall ans Land zu ziehen“, erläutert sie ihre Prinzipien. „Ich weiß meist nach der ersten Betrachtung der Akten, was möglich ist, und habe kein Problem damit, falsche Hoffnungen im Keim zu ersticken. Wenn ein Angeklagter meint, ich müsse einen Freispruch für ihn rausholen, obwohl die Faktenlage dies nicht hergibt, dann kommen wir nicht zusammen. Ohne gegenseitiges Einvernehmen und Vertrauen funktioniert es nicht.“ Ein Grundsatz, der auch abseits der Sphäre des Gerichts uneingeschränkte Gültigkeit besitzt. Dass Zimmermann auch im Privatleben als Rechtsanwältin agiert, etwa in Streitigkeiten mit ihrem Partner, verneint sie, nur um dann mit einem Lachen hinzuzufügen: „Er ist Strafverteidiger.“

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