Mauga Houba-Hausherr

Kein Kaffee mit Agnes

„Als ich zu einer Freundin irgendwann sagte ‚Wir waren gerade im Forst- wald‘, wusste ich, dass Agnes und ich jetzt eine Beziehung haben“, lacht die Künstlerin Mauga Houba-Hausherr. „Es ist ja nicht so, dass ich mit ihr Kaffee trinken will, sondern ich kommuniziere mit ihrer Kunst. Das geht über den Tod hinaus.“

Geboren in Polen, kam Mauga vor mehr als 30 Jahren zum Studium in die Seidenstadt. Mauga war schon immer fast besessen von der Kunst: Während andere Kinder den Musikunterricht besuchten, ließ sie nach Schulschluss den Füller fallen, um ihn in der Zeichenschule gegen Pinsel und Bleistift zu tauschen. Schon als junges Mädchen opferte sie ihre Ferien, um unter Anleitung mit Staffelei und Farben durch die Straßen zu ziehen und dort Stimmungen und Eindrücke in Bilder zu verwandeln. Denn da, auf der Straße, kann die Künstlerin das sehen, was sonst für viele verborgen bleibt. „Kunst transportiert Stimmungen“, erklärt sie. „Wenn ich vor Ort male, dann höre ich Autos oder die rauschenden Blätter an den Bäumen, ich beobachte Lichtspiele oder komme mit Menschen in Kontakt. Dadurch gewinne ich einen anderen Zugang zu dem, was ich auf der Leinwand erschaffe.“ Ob Nordlichter in Norwegen, Landschaftszüge am Niederrhein, Meer und Dünen an der Ostsee oder Erinnerungen an ihre Kindheit in Schlesien – Mauga bringt ganz unterschiedliche Impressionen aufs Papier. Oft haben diese einen Bezug zur Heimat oder helfen ihr, Biografien von außergewöhnlichen Menschen auf die Spur zu kommen.

Ein Buch, das sie im letzten Jahr durch Zufall in die Finger bekam, erfüllte gleich beide Kriterien. Unter dem Titel „Alte Krefelder Häuser und Winkel“ veröffentlichte die Sparkasse Krefeld vor fast 40 Jahren einen Einzelband mit Zeichnungen und Aquarellen von Agnes Kaiser aus den Jahren 1905 bis 1919. „Als ich ihn durchsah, habe ich direkt einen Teil von mir in Agnes` Bildern erkannt“, erklärt sie. „Und je mehr ich mich mit ihrer Geschichte und ihrer Kunst beschäftigte, umso größer wurden diese Identifikationspunkte. Heute sind Agnes und ich dauerhaft im Dialog.“

Der Bildband zeigt die aufwändigen Werke der Künstlerin, die 1865 in der Nähe von Wismar geboren wurde und anschließend fast 20 Jahre in Krefeld gelebt haben muss. Mit Florentinerhut und Reformkleid, Staffelei und Farben ging sie damals, ähnlich wie Mauga heute, auf Tour, um das Stadtgeschehen für ein Museum möglichst detailgetreu festzuhalten. Viele architektonisch außergewöhnliche Gebäude, zum Beispiel die Burg Linn oder der Hülser Konvent, sind im Bildband abgebildet. Derjenige, der genau hinsieht, entdeckt aber auch neckische Spielereien. Baumschatten tanzen an Gemäuern, eine kleine Gießkanne steht vor einem Haus oder Blumenstauden suchen sich wild ihren Weg. „Auch wenn Agnes den Auftrag hatte, zu dokumentieren, liebte sie wie ich die Freiheit“, sagt Mauga. Während die Krefelder Künstlerin immer mehr Parallelen zu ihrer historischen Kollegin entdeckte, beschloss sie, auch künstlerisch in ihre Fußstapfen zu treten. Mit Agnes‘ Bildern als Vorlage besucht sie mehr als 100 Jahre später die Orte, die auch die historische Künstlerin in den Blick nahm, um sie auf ihre eigene Art, die „Mauga-Art“, erneut zu zeichnen.

Einer dieser Orte ist das Haus Neuenhof in Krefeld-Bockum. Wer die Uerdinger Straße stadtauswärts fährt, wird mit dem Blick auf das alte Schloss belohnt. Viele Jahre wurde es als Jugendherberge genutzt, heute sind hier Unternehmen mit ihren Büroräumen ansässig. „Wenn ich mit Agnes in den Dialog gehe, ist das gleichzeitig Detektivarbeit“, beschreibt Mauga. Immer wieder besucht die Künstlerin zu unterschiedlichen Tageszeiten und Jahreszeiten den Ort, lässt Stimmungen auf sich wirken, beobachtet das Geschehen und sucht nach der alten Perspektive. Genau möchte sie nachvollziehen, an welcher Stelle ihre Kollegin damals die Staffele aufstellte, welchen Blickwinkel sie für sich auswählte und welche Details dabei auf sie wirkten. „Oft fühle ich mich Agnes dadurch so nah. Es ist ein wahnsinniges Gefühl, zu wissen, dass ich an derselben Stelle das Gleiche tue – nur eben um hundert Jahre versetzt“, beschreibt die Künstlerin. Doch nicht immer kann Mauga die Schritte der Künstlerin nachvollziehen. Es ist nicht nur wenig über die Biografie Agnes Kaisers bekannt, auch die Kulisse hat sich seit damals komplett verändert. „Hier am Haus Neuenhofen stehen heute Bäume an der Stelle, wo Agnes einst ihre Staffelei aufgestellt hatte“, erklärt Mauga. „An anderen Orten in Krefeld sind Häuser abgerissen worden oder neue Bauten entstanden.“ Dann versucht Mauga für sich neue Blickwinkel zu schaffen. Am Haus Neuenhof beispielsweise fasziniert sie vor allem die Gestalt des kleinen Türmchens, das durch die wandernde Sonne immer wieder in ein neues Licht getaucht wird. In ihren Aquarellen kann der Beobachtende tanzende Baumschatten finden. „Die Schatten hatte ich in einem Bild von einem Gebäude in Linn beobachtet, das es so nicht mehr gibt“, beschreibt Mauga weiter. „Dadurch, dass ich dieses Haus nicht mehr zeichnen kann, versuche ich die typischen Charakteristika von Agnes in andere Werke zu übernehmen.“

Viele Krefelder Orte hat Mauga so schon in Andenken an Agnes gezeichnet. „Es wäre toll, wenn ich irgendwann ein Buch veröffentlichen könnte, in dem Agnes und meine Gemälde sich gegenüberstehen“, träumt die Krefelderin. „Denn das hier ist Zeitgeschichte.“ Und noch viel mehr: Es ist das Werk zweier starker Frauen, die als Künstlerinnen in unterschiedlichen Zeiten ihren ganz eigenen Weg gefunden haben.

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